Friday, May 17, 2013

February 12, 2006--long article about Twelve Tribes in a large newspaper--I'll translate it if there's enough interest!

 

I haven't even read the whole thing myself yet--life is BUSY!! But my husband did and asked me to post it, so here it is.
Schulpflicht
Diktat der Eltern
Von Julia Schaaf
12. Februar 2006 Der Brief, der die Lösung des seit Jahren schwelenden Streits brachte, traf am Montag im bayerischen Kultusministerium ein.
Fast stolz verliest Ministeriumssprecher Ludwig Unger den friedenstiftenden Satz: „Es ist für uns selbstverständlich, daß wir das Grundgesetz . . . und die bayerische Verfassung und die darin festgelegten obersten Bildungsziele . . . anerkennen.” Endlich kann Ruhe einkehren im Landkreis Donau-Ries. Schluß mit Bußgeldern, mit Beugehaft für prinzipientreue Väter und mit Polizisten, die Kinder aus der Kirche tragen und zur Schule fahren.
In langwierigen Verhandlungen haben sich die Behörden mit der Religionsgemeinschaft „Zwölf Stämme” geeinigt, wie die Schulpflicht erfüllt werden soll. „Das wichtigste für uns war”, sagt Unger, „daß die Kinder und Jugendlichen nach einem festen Lehrplan unterrichtet werden und eines Tages ein Examen haben, mit dem sie ihr Leben selbst gestalten können.” Ein Sprecher der bibeltreuen Christen sagt: „Wir sind erleichtert.”
Offizielle Lehrpläne mit Besonderheiten
Es wird grundsätzlich anders sein, und doch bleibt alles, wie es ist. Die mehr als dreißig Jungen und Mädchen werden weiterhin auf dem Gelände der Gemeinschaft in Klosterzimmern unterrichtet, dort, wo sich alte Gutshäuser und Ställe idyllisch um eine Kirche gruppieren, wo die Männer lange Bärte tragen und die Frauen weite Kleider, wo gemeinsam gebetet, gegessen, gearbeitet wird - und eben auch gelernt.
In Kleingruppen von vier bis sechs Kindern malen wohlerzogene Schüler Buchstaben oder pauken binomische Formeln. Die Lehrer sind Mitglieder der Gemeinschaft. Der Unterricht kommt ohne Sexualkunde aus. Und wenn die Evolutionstheorie Thema ist, darf zugleich von Gottes Schöpfung die Rede sein.
Abgesehen von diesen Besonderheiten hat sich die Gemeinschaft verpflichtet, künftig die offiziellen Lehrpläne einzuhalten. Außerdem hat sie Leistungskontrollen durch die Schulaufsicht zugestimmt. „Ergänzungsschule” heißt die offizielle Kompromißformel. Ministeriumssprecher Unger beteuert, von „Präzedenzfall” könne keine Rede sein.
Hilflose Behörden
Denn was wäre, wenn jeder seine Kinder unterrichten könnte, wie und wo er wollte? Wenn Eltern ihre Kinder lieber an den Küchentisch zum Diktat bestellten als sie zur Schule zu schicken? Wenn sich, wie zum Beispiel in Amerika, das sogenannte homeschooling auch in Deutschland ausbreiten würde? Die kleine Zahl der Schulverweigerer aus Überzeugung wächst. „Wir beobachten, daß das Thema in den letzten Jahren auf bescheidenem Niveau an Relevanz gewinnt”, sagt Andreas Fincke, Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen.
In Hamburg steht zur Zeit ein Lehrer vor Gericht, weil er seine Töchter lieber daheim die Bibel lesen läßt, als sie mit Kindern aus zerrütteten Elternhäusern in einer Klasse zu wissen. Im Landkreis Paderborn klingen Behördenvertreter noch immer erschöpft, wenn sie von den Querelen mit rußlanddeutschen Baptisten im vergangenen Jahr berichten. Inzwischen sind die Eltern nach Österreich ausgewandert, einige schicken ihre Sprößlinge auf eine christliche Privatschule.
Es gibt Geschichten von Schulphobie und Mobbing auf dem Pausenhof, von einer Mutter, die eine Woche lang ihren sich wehrenden Erstkläßler zur Waldorfschule trug, um dann aufzugeben: Heimunterricht. Und da sind diese Fälle in Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, in denen die Behörden hilflos sind.
Okkultismus in der Schule
Die rechtliche Lage ist eindeutig, in den Landesgesetzen stehen typischerweise Sätze wie: „Die Schulpflicht ist durch den Besuch einer deutschen Schule zu erfüllen” (Baden-Württemberg). Aber von der Verhängung von Bußgeld bis zum potentiellen Entzug des Sorgerechts, über Gerichtsverfahren und dem Warten auf die Verhandlung in nächsthöherer Instanz gehen die Jahre ins Land, und die Kinder bleiben, wo sie sind - zu Hause.
„Wir sind nicht angetreten, um die Schullandschaft umzupflügen”, sagt Armin Eckermann. Der Rechtsanwalt, ein Mann von Anfang Sechzig mit weißem Schnauzer und kariertem Sakko, ist Vorsitzender des Vereins „Schulunterricht zu Hause”. Seine Frau und Kollegin Gabriele vertritt Familien, die für Heimunterricht kämpfen. Die meisten davon sind strenggläubige Christen, manche legen die Bibel wörtlich aus.
Auch Eckermanns gehören einer evangelischen Freikirche an, ihre drei Kinder sind längst aus dem Haus. Der Blick der Frau, die missionarisch strahlen kann, verfinstert sich programmatisch, wenn sie von schulüblichen Aufklärungsbroschüren erzählt, die den Anstoß ihrer Mandanten erregten und ihr selbst wie Pornohefte vorkamen. Sie geißelt angeblichen Okkultismus im Unterricht.
Klagen vor dem Menschengerichtshof
Auch Kinderbuchklassiker wie „Der Räuber Hotzenplotz” und Zaubergeschichten sind aus einem solchen Blickwinkel verwerflich. Armin Eckermann erklärt: „Das ist zugleich ein Angriff auf die Familie.” Wenn Elternhaus und Schule diametral verschiedene Überzeugungen lehrten, werde ein Keil zwischen Kinder und Eltern getrieben. Seine Frau bemängelt das Lernklima an deutschen Schulen, fehlende Effizienz und die Allgegenwart von Drogen.
Der Verein „Schulunterricht zu Hause”, den Eckermanns im Jahr 2000 mitgegründet haben, hat nach Angaben des Vorsitzenden etwa 150 Mitglieds-Familien; die Gesamtzahl der Heimschüler in Deutschland liege zwischen 500 und 1000. Unter den Eltern seien Doktoren, Geologen, Handwerker, Banker und Arbeitslose - und alle wären liebend gerne zu staatlichen Leistungskontrollen bereit. Wenn Deutschland mit seiner Schulpflicht nur nicht so viel strikter wäre als andere Länder!
Die Klagen der Eckermanns liegen mittlerweile beim Europäischen Menschengerichtshof. Österreich gilt ihnen als Idealmodell: Dort könnten Eltern ihr Kind in Absprache mit den Behörden selbst unterrichten und am Ende des Schuljahres zu einer Prüfung schicken. Wer bestehe, dürfe weitermachen, wer durchfalle, müsse in die Schule. Warum nicht auch hier? „Der Staat hat eigentlich keine Argumente”, behauptet der Anwalt. Der Lehrer könne durch Fernschulprogramme angemessen ersetzt werden, von mangelnder Sozialkompetenz der Heimschüler oder von Abschottung könne keine Rede sein.
Heimschulwerk, teure Unterlagen oder Kreativität
Es gibt Eltern, die unterrichten mit dem Material der sogenannten Philadelphia-Schule in Siegen, einem nicht anerkannten Heimschulwerk, dessen Internetangebot von Bibelzitaten durchzogen ist. Der Gründer und Vorsitzende Helmut Stücher, der schon 1982 für fünf Tage ins Gefängnis ging, weil er die jüngeren seiner elf Kinder zu Hause unterrichtete, spricht von 320 Kunden in Deutschland.
Einzelne kaufen auch die teureren Unterlagen der Deutschen Fernschule in Wetzlar, die für die Kinder von Diplomaten und Geschäftsleuten im Ausland sogar ausdrücklich vom Staat empfohlen werden. Kosten: 270 Euro im Monat für das Grundschulprogramm Mathe, Deutsch und Sachkunde, vierzehntägige Tests zum Einschicken mit ausführlicher Rückmeldung inklusive.
Stefanie Edel arbeitet lieber mit ganz normalen Schulbüchern und verläßt sich sonst auf ihre Kreativität. Morgens um acht beginnt im Wohnzimmer des alten Bauernhauses bei Lüdenscheid der Unterricht für drei ihrer Kinder, der älteste Sohn besucht mittlerweile das Gymnasium. Die Kinder lernen Englisch, experimentieren zum Thema Oberflächenspannung und basteln Panflöten aus Strohhalmen.
Organische Entwicklung
Mehr als 1500 Euro Bußgeld hat Stefanie Edel deshalb schon gezahlt. Die 37 Jahre alte Kulturpädagogin ist eine engagierte, lebensfrohe Bilderbuchmutter. Sie will nicht über einen Kamm geschoren werden mit jenen, die sich nur aus religiös-moralischen Gründen gegen die öffentliche Schule sträuben.
„Es geht um ein Familienkonzept”, sagt Edel, um ein „ganzheitliches Lebens- und Arbeitsverständnis”. Die Frau erzählt, wie sich ihre Heimschule organisch entwickelt hat. Zunächst sah sie ihre kleinen Kinder im Massenbetrieb des Kindergartens schlechter aufgehoben als von der eigenen Fürsorge umhegt. Die Geschwister sollten beisammen bleiben, auch sie selbst wollte die Zeit auskosten.
Aber nachdem sie schon mit den Vierjährigen Buchstaben geknetet hatte, schien es im Alter von Sechs dann absurd, den Zöglingen einen weiten Schulweg zuzumuten - um hinter das erreichte Leistungsniveau zurückzufallen. „Unsere Kinder lernen begeistert”, sagt Edel. Die Schule hingegen treibe dieses Vergnügen oft genug schon Zweitkläßlern aus.
Merkwürdige Allianzen
In der Rebellion gegen den Absolutismus der deutschen Schulpflicht entstehen mitunter merkwürdige Allianzen. Neben fundamentalistischen Christen fordern auch reformpädagogisch orientierte Eltern, die auf unstrukturiertes, die Neugier der Kinder begleitendes Lernen setzen, eine Abkehr vom „Schulzwang”. Die Misere des Bildungswesens gibt den Kritikern Auftrieb. Auch die Übereinkunft mit den „Zwölf Stämmen” wird begrüßt - weil der Staat den Elternwünschen Rechnung trage, weil vielleicht auch andere Fälle bald pragmatischer, sachlicher gelöst werden könnten.
Der Staat jedoch bleibt hart. Die Schulpflicht sei ja auch ein Schulrecht, heißt es im nordrhein-westfälischen Kultusministerium, sprich: das Recht auf eine allgemeine Bildung jenseits dessen, was Eltern zufällig für richtig halten. Nur die Schule könne die Einhaltung von Standards gewährleisten. Und was wäre, wenn Islamisten ihren eigenen Unterricht machen wollten? Was ist mit der Notwendigkeit, sich in die Vielfalt einer Gesellschaft einzufinden?
Gerade Kinder aus sehr religiösen Elternhäusern wüchsen mitunter in geistiger Enge auf, warnen Kirchenleute. „Nur in der Kenntnis anderer Lebensentwürfe kann man letztlich selbständig über den eigenen Lebensweg entscheiden”, sagt auch der Sprecher des bayerischen Kultusministeriums. Nein, gibt er zu, eine Ideallösung sei der Kompromiß in Klosterzimmern nicht. Und er fügt an: „Die Genehmigung kann auch wieder entzogen werden.”
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