Friday, May 17, 2013

December 16, 2005--article about an 11-year-old "school-boycotter" (in German)

 

Unterricht zu Hause

PLEINFELD – Von einem Tag zum anderen wollte Manuel Fischer nicht mehr in die Schule gehen. Warum, weiß selbst seine Mutter nicht genau, weil der mittlerweile Elfjährige ausweicht, sobald das Thema angesprochen wird. Corinna Fischer weiß nur eines: "Die Schulzeit war schrecklich für meinen Sohn." Von Anfang an hatte Manuel Schwierigkeiten in der Schule. Nachdem die fünfköpfige Familie aus beruflichen Gründen von Baden-Württemberg nach Pleinfeld umgezogen war, wurde der damalige Viertklässler "ganz aus der Bahn geworfen". Der Junge hatte plötzlich keine Freunde mehr und konnte auch nicht mehr an seinem geliebten Fechtunterricht teilnehmen. Und auch der Start an der neuen Schule war alles andere als gelungen, erinnert sich Corinna Fischer. Der Rektor habe ihren Sohn mit folgenden Worten begrüßt: "Wenn Du Dich gut führst, dann hast Du überhaupt keine Probleme." Wo die wahren Gründe für die Schulangst ihres Sohnes liegen, weiß die gelernte Heim- und Jugenderzieherin schon lange nicht mehr. "Irgendwann fängt man an, das eigene Kind in Frage zu stellen", gesteht die 30-Jährige. Laut Aussagen von Lehrkräften habe sich Manuel bereits nach zwei Wochen in der neuen Schule geweigert, seine Hausaufgaben zu machen. Nach einer angeblichen Prügelei auf dem Pausenhof bekam der Schüler kurze Zeit später einen Verweis. Vier Wochen vor den Sommerferien vergangenen Jahres sah sich die Mutter gezwungen, ihren Sohn aus der Schule zu nehmen, in die er erst nach den Pfingstferien eingeschult worden war. Weil in Bayern bekanntlich Schulpflicht besteht, musste die Mutter für ihren Sohn ein ärztliches Attest ausstellen lassen, um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Der Klassenlehrer hatte der Mutter angedroht, dass Kind notfalls mit Polizeigewalt abholen zu lassen, falls kein Attest beigebracht werde.

Ausgeschlossen
Mitte Oktober 2004 wurde Manuel von der Schule ausgeschlossen, weil er angeblich wieder geprügelt habe. "Mit dem gezeigten Verhalten ist er in der Regelschule nicht beschulbar. Er ist deshalb vom Unterricht auszuschließen", urteilte der Rektor schließlich, der Corinna Fischer zufolge sogar vorschlug, das Kind in die Psychiatrie zu überweisen. Für die Mutter der ausschlaggebende Grund, ihren Sohn endgültig aus der Schule zu nehmen. Seit dieser Zeit wird Manuel zu Hause unterrichtet. Was in anderen europäischen Länder legal und zum Teil gang und gäbe ist, ist hier zu Lande allerdings verboten. "Homeschooling", wie der Unterricht zu Hause auch genannt wird, ist nur für deutsche Kinder, die im Ausland leben, gestattet. Ansonsten müssen Kinder in einer anerkannten Schule unterrichtet werden. Für den Verstoß gegen das Bayerische Erziehungs- und Unterrichsgesetz (BayEUG) musste Fischer bereits 1 200 Euro Strafe zahlen. Der Bescheid über die Ordungswidrigkeit wurde vom Weißenburger Landratsamt zugestellt, das als Kreisverwaltungsbehörde den Schulzwang durchführen muss. Da die Gesetzeslage eher "schwammig" ist, wie Fischer sagt, wisse sie selbst nicht, wie es weitergehen soll. Eines aber weiß die Mutter: Seitdem sie ihren Sohn selbst unterrichtet, ist der richtig aufgeblüht. Der Elfjährige lernt ihrer Ansicht nach schneller, effektiver und mit viel mehr Freude als je zuvor. Zudem sei er jetzt viel ausgeglichener. Die einst attestierte Lese-Rechtschreib-Schwäche ist augenscheinlich verflogen. Manuel liest flüssig aus dem Mathebuch vor, aus dem er gerade, am Esszimmertisch sitzend, freiwillig ein paar Fleißaufgaben in Geometrie erledigt. "Mathematik und Geschichte mache ich am liebsten", sagt der Junge, der für sein Alter recht ruhig und fast ein wenig altklug wirkt. Schulangst mag Manuel durchaus haben. Lernangst jedenfalls nicht. Dass ihr Sohn die Lust am Lernen zurückgewinnt, ist Corinna Fischer am wichtigsten. "Ich bin kein Schulgegner", betont die Mutter, die sich nicht mehr anders zu helfen wusste und in ihrer Notlage auf die "Homeschool"-Bewegung aufmerksam wurde. Im Internet hat sich die Pleinfelderin über die Initiative informiert. Nach einem "Homeschool"-Treffen in Baden-Württemberg war sie dann "gleich hellauf begeistert". Missionarischer Eifer und generelle Ablehnung der Schulpflicht ist der engagierten Erzieherin fremd. Fischer weiß selbst, dass auch dem Unterricht in den eigenen vier Wänden Grenzen gesetzt sind und sie Manuel nicht bis zum Abitur unterrichten kann. Soziales Lernen im Klassenverband kann sie ihrem Sohn natürlich nicht bieten. Dafür ist sie überzeugt: "Unser Unterricht ist zielgerichteter und individueleller."

Mit Prüfungen
Manuel muss genauso wie seine einstigen Schulkameraden Fächer wie Mathe, Deutsch, Englisch oder Bio pauken. Der Schüler schreibt sogar Prüfungsarbeiten, die er innerhalb einer bestimmten Zeit erledigen muss. Selbst Noten bekommt der Elfjährige von seiner Mutter. Fischer ist überzeugt: "Homeschooling ist gut zur Differenzierung von schwierigen Kindern." Auch wenn der Unterricht manchmal an Grenzen stößt. Eine Turnhalle gibt es natürlich genauso wenig wie die Vergleichbarkeit mit den Altersgenossen. "Das ist manchmal ein Problem", gesteht die Erzieherin. Deshalb hofft Corinna Fischer, dass sich ihr aufopfernder Einsatz für Manuel eines Tages lohnt und seine Lust auf Schule wieder zurückkehrt. Wenn ihr der Gesetzgeber nicht schon früher einen Strich durch die Rechnung macht. Der Mutter wurde erneut vom Schulamt eine Frist eingeräumt, eine Stellungnahme abzugeben, warum ihr Sohn unentschuldigt vom Unterricht fernbleibe. Im schlimmsten Fall befürchtet die Mutter, "dass Manuel von der Polizei abgeholt und in die Schule gebracht wird". Dann, so ist sie überzeugt, wären die mittlerweile erreichten kleinen Erfolge jedoch mit einem Schlag wieder zunichte gemacht.

MARKUS STEINER
http://www.weissenburger-tagblatt.de/artikel.asp?art=434485&kat=26&man=19

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