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myself yet--life is BUSY!! But my husband did and asked me to post it, so here
it is.
Schulpflicht
Diktat der Eltern
Von Julia Schaaf
12. Februar 2006 Der Brief, der die Lösung des seit Jahren schwelenden
Streits brachte, traf am Montag im bayerischen Kultusministerium ein.
Fast stolz verliest Ministeriumssprecher
Ludwig Unger den friedenstiftenden Satz: „Es ist für uns selbstverständlich, daß
wir das Grundgesetz . . . und die bayerische Verfassung und die darin
festgelegten obersten Bildungsziele . . . anerkennen.” Endlich kann Ruhe
einkehren im Landkreis Donau-Ries. Schluß mit Bußgeldern, mit Beugehaft für
prinzipientreue Väter und mit Polizisten, die Kinder aus der Kirche tragen und
zur Schule fahren.
In langwierigen Verhandlungen haben sich
die Behörden mit der Religionsgemeinschaft „Zwölf Stämme” geeinigt, wie die
Schulpflicht erfüllt werden soll. „Das wichtigste für uns war”, sagt Unger, „daß
die Kinder und Jugendlichen nach einem festen Lehrplan unterrichtet werden und
eines Tages ein Examen haben, mit dem sie ihr Leben selbst gestalten können.”
Ein Sprecher der bibeltreuen Christen sagt: „Wir sind erleichtert.”
Offizielle Lehrpläne mit
Besonderheiten
Es wird grundsätzlich anders sein, und
doch bleibt alles, wie es ist. Die mehr als dreißig Jungen und Mädchen werden
weiterhin auf dem Gelände der Gemeinschaft in Klosterzimmern unterrichtet, dort,
wo sich alte Gutshäuser und Ställe idyllisch um eine Kirche gruppieren, wo die
Männer lange Bärte tragen und die Frauen weite Kleider, wo gemeinsam gebetet,
gegessen, gearbeitet wird - und eben auch gelernt.
In Kleingruppen von vier bis sechs
Kindern malen wohlerzogene Schüler Buchstaben oder pauken binomische Formeln.
Die Lehrer sind Mitglieder der Gemeinschaft. Der Unterricht kommt ohne
Sexualkunde aus. Und wenn die Evolutionstheorie Thema ist, darf zugleich von
Gottes Schöpfung die Rede sein.
Abgesehen von diesen Besonderheiten hat
sich die Gemeinschaft verpflichtet, künftig die offiziellen Lehrpläne
einzuhalten. Außerdem hat sie Leistungskontrollen durch die Schulaufsicht
zugestimmt. „Ergänzungsschule” heißt die offizielle Kompromißformel.
Ministeriumssprecher Unger beteuert, von „Präzedenzfall” könne keine Rede
sein.
Hilflose Behörden
Denn was wäre, wenn jeder seine Kinder
unterrichten könnte, wie und wo er wollte? Wenn Eltern ihre Kinder lieber an den
Küchentisch zum Diktat bestellten als sie zur Schule zu schicken? Wenn sich, wie
zum Beispiel in Amerika, das sogenannte homeschooling auch in Deutschland
ausbreiten würde? Die kleine Zahl der Schulverweigerer aus Überzeugung wächst.
„Wir beobachten, daß das Thema in den letzten Jahren auf bescheidenem Niveau an
Relevanz gewinnt”, sagt Andreas Fincke, Referent der Evangelischen Zentralstelle
für Weltanschauungsfragen.
In Hamburg steht zur Zeit ein Lehrer vor
Gericht, weil er seine Töchter lieber daheim die Bibel lesen läßt, als sie mit
Kindern aus zerrütteten Elternhäusern in einer Klasse zu wissen. Im Landkreis
Paderborn klingen Behördenvertreter noch immer erschöpft, wenn sie von den
Querelen mit rußlanddeutschen Baptisten im vergangenen Jahr berichten.
Inzwischen sind die Eltern nach Österreich ausgewandert, einige schicken ihre
Sprößlinge auf eine christliche Privatschule.
Es gibt Geschichten von Schulphobie und
Mobbing auf dem Pausenhof, von einer Mutter, die eine Woche lang ihren sich
wehrenden Erstkläßler zur Waldorfschule trug, um dann aufzugeben:
Heimunterricht. Und da sind diese Fälle in Hessen, Baden-Württemberg,
Nordrhein-Westfalen, in denen die Behörden hilflos sind.
Okkultismus in der Schule
Die rechtliche Lage ist eindeutig, in den
Landesgesetzen stehen typischerweise Sätze wie: „Die Schulpflicht ist durch den
Besuch einer deutschen Schule zu erfüllen” (Baden-Württemberg). Aber von der
Verhängung von Bußgeld bis zum potentiellen Entzug des Sorgerechts, über
Gerichtsverfahren und dem Warten auf die Verhandlung in nächsthöherer Instanz
gehen die Jahre ins Land, und die Kinder bleiben, wo sie sind - zu Hause.
„Wir sind nicht angetreten, um die
Schullandschaft umzupflügen”, sagt Armin Eckermann. Der Rechtsanwalt, ein Mann
von Anfang Sechzig mit weißem Schnauzer und kariertem Sakko, ist Vorsitzender
des Vereins „Schulunterricht zu Hause”. Seine Frau und Kollegin Gabriele
vertritt Familien, die für Heimunterricht kämpfen. Die meisten davon sind
strenggläubige Christen, manche legen die Bibel wörtlich aus.
Auch Eckermanns gehören einer
evangelischen Freikirche an, ihre drei Kinder sind längst aus dem Haus. Der
Blick der Frau, die missionarisch strahlen kann, verfinstert sich
programmatisch, wenn sie von schulüblichen Aufklärungsbroschüren erzählt, die
den Anstoß ihrer Mandanten erregten und ihr selbst wie Pornohefte vorkamen. Sie
geißelt angeblichen Okkultismus im Unterricht.
Klagen vor dem
Menschengerichtshof
Auch Kinderbuchklassiker wie „Der Räuber
Hotzenplotz” und Zaubergeschichten sind aus einem solchen Blickwinkel
verwerflich. Armin Eckermann erklärt: „Das ist zugleich ein Angriff auf die
Familie.” Wenn Elternhaus und Schule diametral verschiedene Überzeugungen
lehrten, werde ein Keil zwischen Kinder und Eltern getrieben. Seine Frau
bemängelt das Lernklima an deutschen Schulen, fehlende Effizienz und die
Allgegenwart von Drogen.
Der Verein „Schulunterricht zu Hause”,
den Eckermanns im Jahr 2000 mitgegründet haben, hat nach Angaben des
Vorsitzenden etwa 150 Mitglieds-Familien; die Gesamtzahl der Heimschüler in
Deutschland liege zwischen 500 und 1000. Unter den Eltern seien Doktoren,
Geologen, Handwerker, Banker und Arbeitslose - und alle wären liebend gerne zu
staatlichen Leistungskontrollen bereit. Wenn Deutschland mit seiner Schulpflicht
nur nicht so viel strikter wäre als andere Länder!
Die Klagen der Eckermanns liegen
mittlerweile beim Europäischen Menschengerichtshof. Österreich gilt ihnen als
Idealmodell: Dort könnten Eltern ihr Kind in Absprache mit den Behörden selbst
unterrichten und am Ende des Schuljahres zu einer Prüfung schicken. Wer bestehe,
dürfe weitermachen, wer durchfalle, müsse in die Schule. Warum nicht auch hier?
„Der Staat hat eigentlich keine Argumente”, behauptet der Anwalt. Der Lehrer
könne durch Fernschulprogramme angemessen ersetzt werden, von mangelnder
Sozialkompetenz der Heimschüler oder von Abschottung könne keine Rede sein.
Heimschulwerk, teure Unterlagen oder
Kreativität
Es gibt Eltern, die unterrichten mit dem
Material der sogenannten Philadelphia-Schule in Siegen, einem nicht anerkannten
Heimschulwerk, dessen Internetangebot von Bibelzitaten durchzogen ist. Der
Gründer und Vorsitzende Helmut Stücher, der schon 1982 für fünf Tage ins
Gefängnis ging, weil er die jüngeren seiner elf Kinder zu Hause unterrichtete,
spricht von 320 Kunden in Deutschland.
Einzelne kaufen auch die teureren
Unterlagen der Deutschen Fernschule in Wetzlar, die für die Kinder von
Diplomaten und Geschäftsleuten im Ausland sogar ausdrücklich vom Staat empfohlen
werden. Kosten: 270 Euro im Monat für das Grundschulprogramm Mathe, Deutsch und
Sachkunde, vierzehntägige Tests zum Einschicken mit ausführlicher Rückmeldung
inklusive.
Stefanie Edel arbeitet lieber mit ganz
normalen Schulbüchern und verläßt sich sonst auf ihre Kreativität. Morgens um
acht beginnt im Wohnzimmer des alten Bauernhauses bei Lüdenscheid der Unterricht
für drei ihrer Kinder, der älteste Sohn besucht mittlerweile das Gymnasium. Die
Kinder lernen Englisch, experimentieren zum Thema Oberflächenspannung und
basteln Panflöten aus Strohhalmen.
Organische Entwicklung
Mehr als 1500 Euro Bußgeld hat Stefanie
Edel deshalb schon gezahlt. Die 37 Jahre alte Kulturpädagogin ist eine
engagierte, lebensfrohe Bilderbuchmutter. Sie will nicht über einen Kamm
geschoren werden mit jenen, die sich nur aus religiös-moralischen Gründen gegen
die öffentliche Schule sträuben.
„Es geht um ein Familienkonzept”, sagt
Edel, um ein „ganzheitliches Lebens- und Arbeitsverständnis”. Die Frau erzählt,
wie sich ihre Heimschule organisch entwickelt hat. Zunächst sah sie ihre kleinen
Kinder im Massenbetrieb des Kindergartens schlechter aufgehoben als von der
eigenen Fürsorge umhegt. Die Geschwister sollten beisammen bleiben, auch sie
selbst wollte die Zeit auskosten.
Aber nachdem sie schon mit den
Vierjährigen Buchstaben geknetet hatte, schien es im Alter von Sechs dann
absurd, den Zöglingen einen weiten Schulweg zuzumuten - um hinter das erreichte
Leistungsniveau zurückzufallen. „Unsere Kinder lernen begeistert”, sagt Edel.
Die Schule hingegen treibe dieses Vergnügen oft genug schon Zweitkläßlern
aus.
Merkwürdige Allianzen
In der Rebellion gegen den Absolutismus
der deutschen Schulpflicht entstehen mitunter merkwürdige Allianzen. Neben
fundamentalistischen Christen fordern auch reformpädagogisch orientierte Eltern,
die auf unstrukturiertes, die Neugier der Kinder begleitendes Lernen setzen,
eine Abkehr vom „Schulzwang”. Die Misere des Bildungswesens gibt den Kritikern
Auftrieb. Auch die Übereinkunft mit den „Zwölf Stämmen” wird begrüßt - weil der
Staat den Elternwünschen Rechnung trage, weil vielleicht auch andere Fälle bald
pragmatischer, sachlicher gelöst werden könnten.
Der Staat jedoch bleibt hart. Die
Schulpflicht sei ja auch ein Schulrecht, heißt es im nordrhein-westfälischen
Kultusministerium, sprich: das Recht auf eine allgemeine Bildung jenseits
dessen, was Eltern zufällig für richtig halten. Nur die Schule könne die
Einhaltung von Standards gewährleisten. Und was wäre, wenn Islamisten ihren
eigenen Unterricht machen wollten? Was ist mit der Notwendigkeit, sich in die
Vielfalt einer Gesellschaft einzufinden?
Gerade Kinder aus sehr religiösen
Elternhäusern wüchsen mitunter in geistiger Enge auf, warnen Kirchenleute. „Nur
in der Kenntnis anderer Lebensentwürfe kann man letztlich selbständig über den
eigenen Lebensweg entscheiden”, sagt auch der Sprecher des bayerischen
Kultusministeriums. Nein, gibt er zu, eine Ideallösung sei der Kompromiß in
Klosterzimmern nicht. Und er fügt an: „Die Genehmigung kann auch wieder entzogen
werden.”
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